George Orwell: Über Nationalismus. Mit einem Nachwort von Armin Nassehi, München (dtv) 2020. Ich habe mich etwas zusammenreißen müssen, diesen Essay ganz und mit Anhang zu lesen, obwohl gerade mal 60 Seiten... Erst langsam, im mehrfachen Nach-Denken und neu zur Hand-Nehmen des Textes wird mir die Klarheit der Analyse Orwells und die aktuelle Wucht der Aussagen deutlich.
Inhaltlich beschreibt Orwell in drei Schritten die Merkmale nationalistischen Denkens: Nationalisten sind nach seiner Definition wesenhaft obsessiv, instabil und gleichgültig gegenüber der Realität. Scharf in der Formulierung, knallhart in der (zeitkritischen) Analyse und mit Biss gegen die „englische Intelligenz“ enttarnt Orwell den mehr oder weniger offenen Machthunger, die Prestigeerwägungen und Überlegenheitsfantasien der Nationalisten. Orwell ist dabei Realist genug, nationalistische Gefühle zunächst als zur menschlichen „Grundausstattung“ zugehörig zu sehen. Dann aber ist es in erster Linie eine moralische Anstrengung, sie zu bekämpfen und die eigenen Voreingenommenheiten im Kopf kritisch zu hinterfragen.
Armin Nassehi konfrontiert in seinem Nachwort den Text mit einem noch älteren Essay und fasst so die entscheidenden Gedankengänge Orwells kurz zusammen. Zum Ende hin, auf den letzten 5-6 Seiten, formuliert er überaus stark, warum Orwell´s Essay äußerst aktuell ist und der Text ein diagnosefähiges Instrument gegenwärtiger Debatten darstellt. Knackig auch Nassehi´s Schlussakkord: „Was hätte der Brite Orwell wohl zum Brexit gesagt?“
George Orwell: Über Nationalismus. Mit einem Nachwort von Armin Nassehi, München (dtv) 2020.
Auf Amazon veröffentlich am 19. Januar 2022
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