Macht ist ein heißes Thema. Da kribbelt es jeden. Aktuell wird Macht innerkirchlich wieder recht laut und auch kontrovers diskutiert. Da passt das im September 2021 vorgelegte Buch von Prof. Michael Ebertz mit dem Titel "ENTMACHTUNG" als Debattenbeitrag prima hinein. Wie also steht es um die Macht der Kirche, ihrer Amtsinhaber, der Pastoralmacht? Muss Entmachtung her, oder ist die kirchliche Macht längst bröckelnd? Was sind die Ursachen? Und auch: Wie gelingt es, Relevanz und Stärke (neu) zu begründen?
Zum Glück erschlägt der Freiburger Theologe und Soziologe die Leser*innen in seinem Buch nicht mit vollumfänglichen Machtdefinitionen. Diese werden kurz im ersten Kapitel umrissen. Dann geht es in die Vollen. Die Felder (Figurationen) Familie, Ehe, Geschlechterordnung und Sozialisation (außerhalb der Familie) nimmt Ebertz konkret in den Blick, analysiert und stellt dann Paradigmenwechselthesen vor.
1) Der Kirchensoziologe zeigt zunächst auf, dass die Familien sich aus der „Verschachtelung mit der Kirche“ (S.21) zunehmend herausgelöst haben. Wachstum der Kirche geht für ihn dann verstärkt über neue Tradierungswege.
2) Ebertz beschreibt weiter, dass „staatlich ermöglichte und katholisch-kirchlich angeordnete Ehekonzepte“ (S. 35) inzwischen weit auseinandergedriftet sind. Fast beklemmend sind hier die Seiten zu sexuellen Minderheiten zu lesen (36-40). Ein kultureller Paradigmenwechsel müsste nach Ebertz „wertegeleitete“ Erwartungen (versus normgeleiteten) stärken.
3) Als dritte Figuration nimmt er den Wandel der Geschlechterverhältnisse unter die Lupe: Patriarchat, Frauenbenachteiligung und Diskriminierung, mit den klar auf den Punkt gebrachten Reaktionsmöglichkeiten „exit“ (Option der Abwanderung) oder „voice“ (Option des Einspruchs) (S. 53). Ebertz beschreibt in diesem Zusammenhang die oft gezeigte Haltung der „Ignoranz“ der Kirchenverantwortlichen und thematisiert eine gendersensible Haltung für die offizielle Kirche (S. 57). Der Freiburger Professor fordert an dieser Stelle einen Paradigmenwechsel des „offiziellen Denkstils“, bspw. den Einbau von offensiven Lernmechanismen und Multiperspektivität im kirchlichen Feld.
4) Frühkindliche Bildung und Erziehung, schulischer Religionsunterricht und organisierte Caritas sind die betrachteten Figurationen im vierten Schritt. Hier will Ebertz weg vom „konfessionellen Profilierungszwang“, hin in Richtung Kirche als „Friedensmacht“.
Die mit überzeugenden Analysen und Thesen vorgetragenen Inhalte werden in einem Ausblick (Kapitel 3) nochmals aufgegriffen und verdichtet. Dabei zeigen die Begriffe Attraktivität, Werteorientierung, Multiperspektivität und Frieden die notwendigen Paradigmenwechsel an.
Das Buch ist sehr gut strukturiert. Wohltuend beim Lesen ist das etwas größer gewählte Schriftbild. Ebertz hat 337 (!) kurze Anmerkungen/Nachweise ans Ende gestellt. Fußnotenlesen macht eigentlich keine Freude. Ich habe jedoch lange nicht mehr so oft (und gerne) nachgeschlagen und mir die Quellen und Zitationen für das weitere Forschen angestrichen und gemerkt. Mein Fazit: Ein gehaltvoller Beitrag, eher für eine kirchenaffine Leserschaft, der klar geschrieben und schnell gelesen ist. Er sollte jedoch nicht zu schnell im Regal landen, vielmehr in Arbeits- und Expertengruppen intensiv diskutiert und auf seine Prämissen hin abgeklopft werden.
Michael N. Ebertz: Entmachtung – 4 Thesen zu Gegenwart und Zukunft der Kirche, Ostfildern (Patmos-Verlag) 2021.
Auf Amazon veröffentlicht am 12. Oktober 2021.
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