
Rezension - Reinhard Marx: Freiheit, München (Kösel), Mai 2020.
In zehn gut lesbaren Kapiteln geht der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx einer „Kernbotschaft“ des Christentums nach: Freiheit. Der Titel ist knallend gewählt. Wie auch andere Bücher („glaube!“, „Kirche überlebt“) davor. Marx ist so frei.
Marx liefert einen Essay, das heißt kurze, prägnante Gedanken zum Thema unter Ausnutzung der Gestaltungsspielräume für eigene Positionen. Alles andere wäre bei dem wissenschaftlich durchdeklinierten Schlüsselbegriff Freiheit sicher auch vermessen.
Zentrales Anliegen seines Buches ist es, Freiheit nicht nur als sittlich-politischen Begriff der Neuzeit zu lesen, ihn vielmehr auch als zur biblischen Tradition gehörig zu verorten. Und am Anfang und am Ende der 170 Seiten betont der Kirchenmann mehrfach, dass er nur Bruchstücke, Grundgedanken und Anregungen liefert. Das ehrt ihn. Das sichert ihn aber auch ab. Radikal zu Ende gedacht ist das Thema Freiheit für die Kirche hier beileibe nicht.
Was aber ist gut an dieser Schrift? Zunächst einmal die Offenheit und Debattenfreude des Kardinals. Im Gegensatz zu anderen seiner Zunft macht er transparent, wofür er brennt und was ihn bewegt. Hier wird der Essay sprechend. Marx zitiert im Zusammenhang mit Freiheit häufiger Texte der christlichen Sozialethik, seine Leib-und-Magen-Themen. Hier scheint durch, was er verinnerlicht hat. Das gilt auch für Texte des Vatikanum II. Die Auszüge lesen sich brillant. Aber ein wenig fragt man sich, bei aller bleibenden Aktualität, warum ist davon so wenig umgesetzt, eingesickert, praktisch geworden?
Vor allem das Kapitel „Bruchstellen der Gegenwart“, in dem Marx das Thema Schöpfungsverantwortung referiert und immer wieder die Anliegen von Papst Franziskus erläutert (Enzyklika „Laudato si“) liest sich modern und packend.
Ich habe nicht erwartet, dass Reinhard Marx sich in seinem neuen Buch „festlegt“, seien es Frauenfrage oder Synodaler Weg. Hier ist innerkirchlich vieles in Bewegung und niemand im Bischofsamt im Augenblick trittsicher. Aber man erfährt dennoch, wie der Münchner Kardinal tickt.
Der Journalist Christoph Renzikowski (KNA) titelte Ende Mai bei der Vorstellung des Buches: „Kardinal Marx gibt in seinem neuen Buch den Freiheitskämpfer.“ Gut getroffen. Das Buch ist ein Appetizer. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Mir sind die von der Idee der Freiheit beseelten Kirchenleute, selbst wenn man ab und an in Watte greift, jedenfalls lieber, als ängstlich zugleich dogmatisch wortstark agierende Anachronisten.
Bei der Bewertung habe ich geschwankt zwischen drei und vier Sternen. Lesbar nicht nur für Kircheninsider. Ein vorsichtiger Daumen nach oben.
Rezension auf Amazon eingestellt am 16. Juni 2020.
P.s.:
Wer daran interessiert ist, intensiver das Thema Freiheit (philosophisch) zu durchdringen, dem empfehle ich das Buch von Prof. Otfried Höffe: Kritik der Freiheit. Es ist im Bild oben mit gezeigt. Durchaus lesbar. Im Hintergrund steht die Philosophie Immanuel Kants. Und gerade deshalb bedeutet Kritik der Freiheit hier: Begründung der Freiheit.
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