
Bücher zur Krise/Zukunft der Kirche haben immer Konjunktur. Das hier von Prof. em. Greshake sticht zunächst einmal durch seine brillante Systematik hervor. Sein Werk ist kein heruntergeschriebenes Lamento, vielmehr ein mit dem Sach- und Erfahrungswissen eines 86jährigen Vollbluttheologen verfasster Wurf.
In drei großen Schritten arbeitet sich Greshake am Thema ab/entlang:
1) In Prolegomena (9-24) „heizt“ er zunächst das Thema auf: Er führt die Ambivalenzen der Institution Kirche vor, fordert eine wurzelhafte Erneuerung und ein echtes „Heutigwerden“, bis hin zur real-utopischen Sprengung bisheriger Grenzen auf Zukunft hin. Schon in diesem ersten Teil wird deutlich, dass Greshake die harte Arbeit am Begriff nicht scheut, unendlich viele Querverweise (bewusst kurzgefasst, aber eben angegeben) einbaut und nachvollziehbar argumentiert. Der Autor macht klar, dass er keine nebulöse Vision anstrebt, vielmehr eine reale Utopie von Kirche, die in Realität gründet und auf Realität zielt (24).
2) Im zweiten Abschnitt (25-86) werden drei bestimmende Faktoren der heutigen kirchlichen Situation betrachtet: Das Ende der Volkskirche, die Herausforderung der säkularen Gesellschaft und verengte Glaubensverständnisse. Privilegierung, Klerikalisierung und Über-Institutionalisierung werden angesprochen, die Frage der Macht angeteasert und vor allem auch das System Kirche in seinem staatsanalogen Verständnis auseinandergenommen. Die überzogene Differenz von Klerus und Laien und die Sakralisierung des kirchlichen Amts finden ebenso Erwähnung, wie die Nachrangigkeit der Freiheit. Dem Dogmatiker gelingt es, aus dem reichen Schatz der 2000jährigen Geschichte der katholischen Kirche seine Positionen überzeugend zu begründen, bzw. anzugeben, warum er mit wem wie argumentiert.
3) Über die Hälfte des Buches (87-229) widmet Greshake dann den Grundlinien einer künftigen Kirchengestalt. Dies geschieht in fünf Schritten. Dabei werden für das Sakrament-Sein der Kirche (1) als bleibender Mitte Argumente beigebracht (Werkzeug, Zeichen, Mysterium). Die Kirche der Zukunft ist für Greshake eine kleine Minderheit (2), mit klaren Konturen, aber ohne sektiererische Attitüde. Darüber hinaus muss die Kirche der Zukunft einen deutlich „geistlicheren Anblick bieten“ (3). Sie wird nach seiner Meinung in Zukunft eine „Kirche der Laien“ (4) sein und eine andere Sozialgestalt (5) unter den Bedingungen der Individualisierung haben.
Ich halte das Buch für höchst lesens- und bedenkenswert. Mir hat gefallen, dass Greshake viele Gedanken Karl Rahners einfließen lässt und seine Anliegen, die ihn immer umgetrieben haben, aufscheinen (Gotteslehre, Eschatologie, Gnadenlehre, Mystagogie und Spiritualität). Der Beitrag ist nicht „links“, so man das überhaupt so einordnen darf. Greshake ist kein Revolutionär, er bietet eine Real-Utopie, fordert gleichwohl einen radikalen Wandel, ja Bruch. Ich sehe viele theologische Brücken gebaut, über die aktuell unterschiedliche Blickrichtungen einander begegnen und auch streiten können. Sicher wird der ein oder andere Defizite spüren oder anders einordnen, etwa bei der Frage, wie bedeutsam die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der Kirche für ihre Zukunft ist. In der Frauenfrage, oder wie radikal die katholische Kirche den so überfälligen Schritt in die Moderne gehen muss. „Kirche wohin?“ werde ich wohl noch häufiger aus dem Bücherregal ziehen und zurücklesen. Das ausführliche Literatur- und Namensverzeichnis wird dabei eine Hilfe sein.
Lit.: Gisbert Greshake: Kirche wohin? Ein real-utopischer Blick in die Zukunft, Freiburg i.Br. (Herder-Verlag) Febr. 2020.
Rezension auf Amazon eingestellt am 15. Mai 2020.
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