
Der Anfang des Tages ist eine sensible Zeit, stellte der berühmte Theologe Karl Rahner in den 50er Jahren bei einer Radioansprache heraus. Und er riet seinen Hörern, den Tag von Gott her entgegenzunehmen und ihn mit spiritueller Tiefe zu beginnen. Ein schöner, ein wichtiger Impuls, zugleich ein hoher Anspruch, vor allem dann, wenn das kranke Kind, der bellende Hund oder die pflegebedürftigen Angehörigen die Nacht zum Tag gemacht haben. Von der Kraft, täglich neu zu beginnen, lässt sich aus vielerlei Gründen leichter reden, denn es zu tun. Gleichwohl bleibt der Anspruch wichtig, weil er auf die immer wieder neu zu findende Sinnmitte des Menschen abzielt.
Neben dem großen Vertreter der kerygmatischen Theologie, hat der ebenfalls im 20. Jahrhundert bedeutende spirituelle Theologe Romano Guardini intensiv nachgedacht über das „Vielbeschäftigtsein“ der Menschen. Guardini schlägt vor, dem täglichen Tag eine Viertelstunde der Stille herauszusparen. Das kann am Morgen sein, bevor es in den Betrieb geht, oder am Abend, wenn der letzte Brief unterzeichnet ist. Wir würden heute vielleicht sagen, die letzte E-Mail verschickt und das Handy und whatsapp ausgeschaltet sind.
Beharrlich durchgeführt, so sagt Guardini, übe dies eine leise, aber sehr reale Wirkung auf die nachfolgende Zeit aus. Sie wird dann, „vielleicht bei einer gar nicht damit zusammenhängenden Gelegenheit zur Geltung kommen". Guardini äußert diese Gedanken erstaunlicherweise in seiner Schrift „Der unvollständige Mensch und die Macht".
Der Mensch ist unvollständig und alle möglichen Mächte zerren an ihm herum.
Das ist auch für heute präzise analysiert.
„Jede anbrechende Minute ist eine neue Chance, sein Leben zu verändern“, sagt die Schauspielerin Penelope Cruz mehrfach ihrem Geliebten Tom Cruise in dem Film Vanilla Sky. Jede anbrechende Minute ist eine neue Chance, dem täglichen Tag eine Viertelstunde der Stille herauszusparen. Guardini beschreibt das sehr konkret: „Das kann ein Kunstwerk sein … oder ein Gedicht; ein Satz aus dem Tao-te-king oder aus Goethes Maximen und Reflexionen", freilich auch, Guardini wäre nicht Theologe, wenn er das nicht sagen würde, freilich auch: Ein Wort der Heiligen Schrift.
Sämtliche Zitate: Romano Guardini, Der unvollständige Mensch und die Macht, Würzburg 1956, S. 30.
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