
„Macht und Ohnmacht der Kirche“ lautet die Themenreihe der Theologischen Fakultät Paderborn im Wintersemester 2019/2020. Mutig gewählt und mit bedeutenden Protagonisten besetzt, wie am Montag im fast voll besetzten Auditorium Maximum in der Klingelgasse deutlich wurde. Der Freiburger Fundamentaltheologe Prof. Magnus Striet stellte sich in seinem Vortrag dem Thema: „Alles nur Berufung oder doch auch Macht?“ Er bot den Hörern eine soziologische Analyse zu Strukturen der Kirche, die es auch theologisch in sich hatte.
Spätestens seit Veröffentlichung der MHG-Forschungsstudie (2018) zu sexuellem Missbrauch, könnten und müssten die Fragen zu Macht und Machtmissbrauch in der katholischen Kirche vertieft und schonungslos neu angesprochen werden, eröffnete Striet seinen Beitrag: „Wer darf Macht legitimer Weise ausüben?“, fragte er und verwies zunächst auf das klassische Denkschema der Kirche als „potestas“, die göttlich legitimierte Vollmacht für sich beanspruche.
In den vergangenen Jahrhunderten seien in der katholischen Kirche Strukturen und Selbstverständnisse herausgebildet worden, die eine „Selbstkritik nach innen“ habe ausfallen lassen. Kirche wurde, so Striet, als Gegenwelt zur Moderne entworfen, das Weiheamt sei immer stärker aufgeladen worden und die Kirche definiere sich immer noch als Hort der Wahrheit. „Tragen diese Strukturen noch?“, fragte der Theologe in den gespannt lauschenden Hörsaal. „Sind sie effizient? Lassen sie den menschenfreundlichen Gott genügend aufleuchten?“, setzt er nach.
Wer glaubt, riskiert, setzt Hoffnung als Perspektive, formulierte Striet seine Gedanken weiter. Glaube sei Glaube und kein Wissen. Glaube verdanke sich menschlichen Reflexionsprozessen und verwandle sich mit eben diesen. Auch kirchliche Ordnungen verdankten sich Reflexionsprozessen. Sie seien durchgesetzte Ordnungen, die auch ineffizient sein können oder manchmal theologisch überhaupt nicht zu rechtfertigen.
Striet zieht für sich den Schluss, dass die Kirche aktuell ein „signifikant vormodernes System“ sei und den Schritt in die (Nach)Moderne unbedingt leisten müsse. Dafür seien Diskurse nötig, die auch machttheoretische Kriterien zulassen und anlegten. Doch „anstatt im Dialog die Härte der Argumente zu suchen“, würden die Dialoge in „geistliche“ Dialoge uminterpretiert und damit die Macht- und Entscheidungsfragen wieder Richtung Amt gelenkt.
Im weiteren Verlauf seines Vortrags warb Striet für das Recht auf Selbstbestimmung (Autonomie) auch in der Kirche und verwies auf die überragende Bedeutung der Freiheit in säkularen Systemen. Muss nicht die Kirche viel klarer „freiheitssensibel“ gestaltet sein?, fragte er. Benötigt sie nicht viel deutlicher die Partizipation aller an Entscheidungsprozessen? Damit stelle sich auch die Frage nach Gott neu: „Achtet Gott die Sehnsucht nach individueller Selbstbestimmung?“
Nach Striet haben sich die bisherigen kirchlichen Strukturen als ineffizient erwiesen und man stehe radikal vor der Frage, wie neue Ordnungen aufgebaut werden können. „Bleibt alles göttlich so gewollt“, oder sind die Ordnungen der Kirche Ergebnis diskursiver Prozesse, einschließlich notwendiger Kontrollinstrumente, die verändert werden können? Dabei weiß der Theologe um die Rasanz seiner Aussagen. Das sei eine „Radikalkur“, die da anstünde. Doch „besser ein schwankender Boden, als abstürzen“, positioniert er sich, auch angesichts der Tatsache, dass unendliche viele Menschen aus der Kirche auszögen.
Zusammenfassend sieht Striet keinen Weg an Autonomie und Freiheit vorbei. „Gott ist freiheitsachtsam und will Autonomie“. Und es sei zu klären, ob diese Freiheit sein darf! Nach seiner Auffassung hat Jesus vorbildhaft durch Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und den Impuls „nimm dein Leben in die Hände“ zu Freiheit und Autonomie ermutigt. Wir sollten uns in seinem Sinne nicht weiter „autoritär vermachten“ lassen, vielmehr das Geschenk der Freiheit annehmen und umsetzen.
Videoaufzeichnung des Vortrags auf dem You-Tube-Kanal der Theologischen Fakultät.
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