
Nachdem mir Hartmut Rosa in Interviews und Literaturanmerkungen vielfach über den Weg gelaufen ist, wollte ich mich intensiver mit dem Denken des Soziologen befassen. Es sollten aber nicht gleich die 700 Seiten seines Werkes „Resonanz“ sein. Ich kann nur sagen: Alles richtig gemacht.
Rosa legt mit seinem Buch „Unverfügbarkeit“ eine umfassende, gut lesbare aber auch beklemmende Analyse der Moderne vor. Dies geschieht nicht formal mittels empirisch-soziologischer Faktenreihung, vielmehr phänomenologisch: Der Jenaer Professor für Soziologie betrachtet die unmittelbar gegebenen Erscheinungen von Selbst und Welt und fokussiert genauer den Umbau unseres Weltverhältnisses. Keine leichte Kost. Man muss sich anfangs etwas einlesen in die Sprachwelt und Denklinien und Wortschöpfungen des Autors. Doch schnell werden diese sprechend und man fühlt sich ertappt ob der präzisen Beschreibung der Herausforderungen der Wirklichkeit heute.
Technische Weltbeherrschung, Wachstum, Beschleunigung, Innovierung, Outputmaximierung kennzeichnen bspw. unser Dasein. Alles wird erwartbar, beherrschbar, berechenbar. Doch der Mensch kommt sich im Ergreifen der Welt abhanden, er tritt nicht mehr in Resonanz mit ihr, hat den Respekt verlernt vor der Unverfügbarkeit der Dinge, kann sich nicht mehr wirklich anverwandeln. Die Steigerungsgesellschaft, die alles in Verfügungsgewalt und Reichweite hat, führt zu Frust und Depression. Die Welt wird als Aggressionspunkt erfahren.
Soweit so kurz. Bitte selber lesen. Die Gedanken Rosa´s machen wohltuend nachdenklich. Wie sehen die Zwänge und Verhärtungen des sozialen Lebens aus? Bin ich selber noch resonanzsensibel? Bin ich noch offen für das Unerwartete? Rosa nimmt sowohl die persönliche Seite (Selbstpol) als auch gesellschaftsstrukturelle Herausforderungen (Weltpol) kritisch in den Blick. Ich ringe mit mir, jetzt doch auch noch „Resonanz“ zu kaufen. Aber erst einmal bleibt das Buch „Unverfügbarkeit“ auf meinem Schreibtisch in Reichweite.
Hartmut Rosa: Unverfügbarkeit
Wien/Salzburg, 5. Aufl. 2019
Auf Amazon veröffentlicht am 2. Januar 2020.
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