
Der Philosoph Julian Nida-Rümelin am 22. Oktober 2018 im Heinz Nixdorf Museumsforum.
Was ist vom technischen Fortschritt im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz zu halten? Wie muss die aktuelle Welle der Digitalisierung eingeordnet werden? Große Fragen, denen sich der Münchener Philosoph Julian Nida-Rümelin in einem gut einstündigen Gastvortrag am Montagabend im Paderborner HNF stellte. Ohne PowerPoint, auf der Bühne hin und her flanierend, ruhig und verständlich sprechend, vor knapp 400 Zuhörern, die gebannt dem Vortrag lauschten.
„Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, dass er viel größer ausschaut, als er wirklich ist.“ Mit diesem Nestroy-Zitat Ludwig Wittgensteins aus dem Jahr 1943 positionierte sich der ehemalige Kulturstaatsminister gleich zu Beginn seiner Ausführungen. Zu groß, zu dick, zu überheblich komme ihm der neue digitale Fortschrittsglaube daher. Und er führt mit Zitaten von Henry Ford und dem Chemiker Emil Fischer von vor einhundert Jahren vor, dass es ein Irrglaube sei, die Menschheitsgeschichte sei eine Fortschrittsgeschichte. Der Einsatz digitaler Technik mache das Leben zweifellos effizienter, reichhaltiger, nachhaltiger. Allerdings seien die technischen Möglichkeiten stets für menschliche Zwecke umzusetzen. Technologie dürfe ein Treiber sein, aber immer mit der Frage im Gepäck: „Werden humane Werte darüber transportiert?“
Sprachgewandt und logisch philosophisch präsentiert Nida-Rümelin seine Ethik im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz und damit die Grundlagen des von ihm präferierten digitalen Humanismus. „Wir dürfen Computer nicht mit Menschen verwechseln“, ist seine Sorge und vehement spricht er sich gegen einen modernen Animismus aus, den kulturellen Reflex, Unbelebtes als belebt anzusehen. Ein Dorn im Auge sind ihm die humanoiden, menschenähnlich gestalteten Roboter, die beispielweise im Pflegebereich vorgaukelten, Partner zu sein und nicht in erster Linie Apparate. Auch auf den Kino-Leinwänden wäre die Entwicklung seit Jahrzehnten vorweggenommen.
„Menschen sind eigenverantwortliche Autoren ihres Lebens“, stellt der Philosoph im Rückgriff auf Immanuel Kant den Kern des Humanismus, die Autonomie, fest in den Raum. „Technik ist ein bloßes Instrument“, konstatiert er und erklärt das philosophische Problem, dass im Gegensatz zu Robotern Menschen als Akteure ihre Gründe abwägen würden: „Dies können Computer nicht. Und deshalb versagen KIs bei moralischen Dilemmata.“ Über Bildung und Förderung digitaler Kompetenzen möchte Nida-Rümelin die Herausforderungen der Digitalisierung bewältigen. Der rationale Umgang mit den neuen Technologien sei erforderlich: „Keine Mystifizierung. Kein Animismus!“
In der letzten Viertelstunde seines Vortrags präsentiert sich Nida-Rümelin ganz als Philosoph und politischer Theoretiker. Philosophische Positionen, Logiken und Theoreme sickern dicht an dicht in die Hirne der Zuhörenden, die nicht zu husten wagen. Starke und schwache KI, Roger Penrose und Karl Popper flackern auf und vor allem die Gedankenexperimente John Searle´s: „Computer sind keine semantischen Maschinen“ und es sei darüber hinaus irreführend, den Computer als eine zeichenverarbeitende oder syntaktische Maschine zu verstehen. Jetzt, ganz zuletzt, ist der kategoriale Unterschied zwischen Mensch und Maschine herausgearbeitet und damit der Weg für eine Ethik des Humanismus frei und begründet.
Viel Applaus erntet der fast vierundsechzigjährige schlank-schlaksige Münchener für seine Positionen und Gedanken. Ein besonderer Abend, zu dem man dem HNF und dem Vorbereitungsteam nur gratulieren kann. Getränke, Fingerfood und Autogramme ins soeben neu erschienene Buch gab´s gratis on top. Und dass die digitale Transformation heute nur „ein laues Lüftchen“ im Vergleich zur ersten industriellen Revolution (Dampfmaschine 1810) sei, darüber konnte und kann man im Nachhinein kräftig streiten.
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